Bildungsgutschein

Die Finanzierung eines vielfältigen Schulwesens

Zur Idee des Bildungsgutscheins Dr. Benediktus Hardorp

Vortrag anlässlich einer bildungspolitischen Veranstaltung der »Aktion mündige Schule« im Kieler Landtag:

Unsere Verfassung sieht in Art. Vll/4 Grundgesetz ein Grundrecht zur Errichtung von Schulen in freier Trägerschaft »für jedermann« vor; dieses Recht wird - wie es im Verfassungstext lapidar heißt - »gewährleistet«. Das besagt zugleich: Es gibt kein staatliches Schulmonopol in unserem Lande; Bürger können, ja sollen freie Schulen nach eigenen Konzepten gründen. Dieses Recht ist auch unbeschränkbar - es gibt keine rechtliche Handhabe, die es einschränkbar machen würde. So errichtete Schulen müssen, wenn sie im Bereich des gesellschaftlichen Konsenses über Art und Umfang unserer Schulbildung, d. h. im Aufgabenbereich des staatlichen Schulwesens tätig werden, gegenüber diesem Schulwesen gleichwertige Leistungen erbringen. Lediglich diese Gleichwertigkeit hat die staatliche Genehmigungsbehörde (Staatsaufsicht) zu prüfen. Liegt sie vor, so ist eine Freie Schule von Verfassungs wegen zu genehmigen - und zu fördern. Keine Freie Schule muss gleich»artig« sein.

Dem Verfassungsgeber unseres Grundgesetzes schwebt eine innovative Bürgergesellschaft vor. Im Wettstreit unterschiedlicher pädagogischer Ansätze soll ein kraftvolles, kreatives Schulwesen erblühen - ob staatlich oder frei. Deswegen kennt das Errichtungsgrundrecht für freie Schulen keinen »Gesetzesvorbehalt«: Es kann nicht eingeschränkt werden. Allein die Bürger - nicht die Kultusminister - entscheiden, wieviel freie Schulen es geben soll. Das ist jedenfalls Verfassungsziel. - Was tut in dieser Lage die Schulverwaltung, die im Grunde nur ein monolithisches staatliches Schulwesen unter ihrer Regie (Aufsicht belässt Freiheit, Regie beseitigt sie) denken kann? Sie holt sich den verlorenen Einfluss über Einschüchterung (Mittel: Abschlussprüfungen als Zugang zum Berechtigungswesen) und finanzielle Benachteiligung der freien Schulen zurück.

Denn die Ausübung dieses Grundrechtes kostet etwas. Die staatliche Schule ist zwar unentgeltlich - gerade dadurch aber teuer geworden. Ihre Verfassung wird zugleich als Maßstab für Bildungsleistung wie Aufwandsgestaltung (Lehrereinkommen, sachliche Ausrüstung und Investitionen) für die gewollte »Konkurrenz« der freien Schulen verstanden. So kann man die Schulen in freier Trägerschaft leicht und unauffällig am Gängelband unzureichender Finanzhilfen beeinflussen - und sich den zuvor verlorenen Regieeinfluss wieder zurückholen. Das Rezept ist so einfach wie wirksam: Man verpflichtet die Freien Schulen zu Mindestausgaben für Lehrer, Sachaufwand und Investitionen, begrenzt gleichzeitig ihre eigenen Einnahmen (Sonderungsverbot, d. h. die Schule soll für alle Eltern erschwinglich sein). Schließlich lässt man sie mit dem erzwungenen Defizit allein - ja, man vergrößert es durch regelmäßig vorgenommene Kürzungen der Finanzhilfe. Scheinheilig »bedauert« man dies und verweist auf die Notwendigkeit des Sparens. An diesem (Übel) müssen sich eben »alle« beteiligen: Das erfordern »Gerechtigkeit und Solidarität«. Das hört sich jedenfalls gut an.

Nun ist gegen Sparen ja nie etwas einzuwenden (will etwa jemand »verschwenden«?). Darum sparen die Freien Schulen auch schon lange; man könnte es sogar von ihnen lernen! Ihre Kosten liegen unter denen staatlicher Schulen. Wirkliche Gerechtigkeit und Solidarität fordern aber etwas ganz anderes! Sie fordern, dass man die Bürger, die ein Grundrecht ausüben wollen, die sich - wie alle anderen - an der Aufbringung des steuerfinanzierten Staatshaushaltes beteiligen, nicht bei der Zuweisung (Verwendung) der für das Schulwesen zuvor gemeinsam aufgebrachten öffentlichen Mittel benachteiligt. Denn es geht hier zu allererst um unsere durch die Grundrechte der Verfassung beschriebene Werteordnung, nach der sich ihrerseits die Verwaltung öffentlicher Mittel zu richten hat. Nicht der Haushalt bestimmt die Verfassung, sondern umgekehrt: die Verfassung setzt die Maßstäbe für Aufbringung und Einsatz der öffentlichen Mittel; Haushaltsgesichtspunkte sind insoweit sekundär und müssen sich fügen. Erst im Rahmen der Verfassung gibt es Ermessensspielräume für Finanzpolitik und Verwaltung, nicht vorher.

Das Bundesverfassungsgericht hat angesichts der gegebenen repressiven Finanzhilfepraxis der Kultusverwaltungen die Förderpflicht des Staates für Schulen in freier Trägerschaft in seinem Leiturteil vom 8.4.1987 durch eine damals sensationelle Neuauslegung von Art. Vll/4 GG (BVerf.GE 75, 40 ff.) ausdrücklich festgestellt. Bei dieser Linie ist es auch in der Folge bei seinen Urteilen zur Schulbauförderung (BVerf. GE 90, 128 ff.) und zur Genehmigungspflicht Freier Schulen (BVerw.Ger. 19.02.92) geblieben. Das Grundgesetz will ein innovatives Schulwesen - und Freie Schulen sind dessen unersetzlicher, solche Innovationsanstöße garantierender Teil. (1) Deshalb gibt es die staatliche Förderpflicht für diese Schulen als Grundrechtsicherung. Die Finanzhilfe muss deren Existenz sichern, sie muss das zur Existenzsicherung Notwendige dazugeben, solange die staatlichen Aufwandsvorgaben (bei gleichzeitigen Einnahmebeschränkungen) aufrechterhalten werden. Hieraus bemisst sich die erforderliche Finanzhilfe des jeweiligen Landes. Sie darf freie Schulen nicht besserstellen als vergleichbare staatliche Schulen - eine Selbstverständlichkeit im übrigen, die noch nie in Gefahr war! Freie Schulen, namentlich die Freien Waldorfschulen, zeigen jährlich und öffentlich, dass - und wie - sie mit ihren Mitteln umgehen und wie sie damit effektiver arbeiten als der Staat. (2) Deshalb sollten alle Benachteiligungsmaßnahmen, von denen hier im einzelnen nicht die Rede sein kann und soll, eingestellt werden.

Die Verfassung meint aber noch mehr als nur materielle Mittelgerechtigkeit. Sie will eine freiheitliche Bürgergesellschaft mit größtmöglichem Bildungspluralismus; durch diesen werden nämlich viele individuelle Bildungswege möglich. (3) Hier setzt die Idee des Bildungsgutscheines für das Schulwesen ein. (4) Sie bedenkt nicht nur die quantitative Seite der Sache, das WAS, sondern sie richtet ihre Aufmerksamkeit besonders auf die Qualität des Verfahrens, das WIE. Sie fragt nach der Freiheitlichkeit des Verfahrens, nach seiner bürgerschaftlichen Qualität. Welche Verfahren der Finanzhilfe haben und kennen wir? Es sind derzeit zwei:

das Aufwandsdeckungsverfahren (Defizitdeckungsverfahren), das Pauschalverfahren mit Finanzhilfesätzen pro Kopf des Schülers (p.a.). Beide Verfahren weisen die grundrechtlich erforderlichen Mittel der Schule als Grundrechtsträger zu. Für die Eltern bleibt es damit beim - oft mächtig erscheinenden - Gegenüber der Institution »Schule«, mit der sie lediglich ein Vertrags- oder Mitgliedschaftsverhältnis haben. Sie selbst zahlen - unter den derzeitigen Rahmenbedingungen - nur einen Beitrag zu den Kosten der Schule, ihren »Elternbeitrag«. Er ist zwar der wichtigste, weil innovativste Teil der Schulfinanzierung; er ist aber quantitativ der kleinere Teil des Erforderlichen (ein Drittel der Kosten pro Schüler oder weniger). Der quantitative Hauptanteil, die staatliche Finanzhilfe, geht am Elternbewusstsein weit gehend vorbei und wird der Institution Schule direkt zugewiesen.

Dabei will die Finanzhilfe ja die »Chancengleichheit« der Bürger und ihrer Kinder sichern helfen; jedermann soll nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes seine Kinder auf Schulen in freier Trägerschaft - ohne Rücksicht auf seine finanziellen Verhältnisse - schicken können; es soll keine »Plutokraten«-Gesellschaft, keine »Plutokratenschulen« für die Kinder »reicher Leute« geben (BVerf.GE 75, 40, 63). Alle Kinder sollen die Chance zum Besuch dieser Schulen haben. Wie kann man das erreichen?

Der Bildungsgutschein - an die Eltern der Schüler gegeben - versetzt diese in die Lage, ihre Kinder auf die Schule ihrer Wahl zu schicken, ohne damit vor unüberwindliche wirtschaftliche Schranken zu gelangen. Dieser Gutschein kostet auch den Staat nicht mehr als das, was er sowieso aufzuwenden verpflichtet ist. Mit der in mehreren Bundesländern üblichen Pauschalzuweisung auf den Kopf des Schülers ist die Kultusverwaltung dem Bildungsgutschein ohnedies schon sehr nahe gekommen: sie braucht nur noch die Adressaten auszuwechseln, dann stimmt's. Statt an die Institution Schule würde der Bildungsgutschein den sorgeberechtigten Eltern, den Bildung Nachfragenden zugewendet und diese zu individueller Mitwirkung aufrufen. Damit wird die Steuerung des Bildungswesens tatsächlich den Bürgern in die Hand gegeben. Die »Bürgergesellschaft« beginnt im Schulwesen. Denn der Bildungsgutschein stellt im Grunde eine Korrektur der Steuererhebung des Staates bei seinen Bürgern dar: Mittel, die im Bereich der staatlichen Gemeinschaftsaufgaben (hier: im Schulwesen) nicht eingesetzt werden können (weil es sich um die Aufgabenerfüllung grundrechtsgeschützter autonomer, freier Schulen handelt), werden den Berechtigten selbst überlassen. Sie können damit (nur) die Schule ihrer Kinder bezahlen. Die Schule wird auf diese Weise voll finanzierbar - und ist, verfassungsrechtlich gesehen, nicht mehr »hilfsbedürftig«. Nicht nur den Eltern, auch ihr ist geholfen! Wenn die Finanzhilfe des Staates verfassungsmäßig korrekt bemessen wird, kostet dieser Weg der »Umadressierung« den Staat keine Mark (keinen Euro) mehr. (5)

Dies verändert aber die Freiheitsqualität unserer Gesellschaft! Die Eltern unserer Schüler würden die Wahl der geeigneten Schule für ihre Kinder in ganz anderer Weise als ihre eigene Verantwortlichkeit erleben. Sie sind es dann, die die Schule ihrer Kinder finanzieren, so dass diese existenzfähig bleibt! Sie empfinden sich nicht mehr als »Draußen«-Stehende, zu deren Gunsten die Institution Schule beim Staat die notwendigen Mittel holt. Sie finanzieren vielmehr selbst die Schule - und beteiligen sich daher auch (als »Mit-Glied«) an deren Angelegenheiten; sie kümmern sich darum, wie »ihr Geld« zu Gunsten ihrer Kinder in »ihrer« Schule eingesetzt wird; sie fühlen sich gesellschaftlich ernstgenommen und beteiligt. Das wird auf das Gesamtklima des Schulwesens eine deutliche, die Selbstständigkeit und Selbstverantwortung der Bürger stärkende Wirkung haben; das wird die Bürgergesellschaft in Fahrt bringen! (6)

Quantitativ müsste der Bildungsgutschein (je nach Schulart) differieren - wie die Kosten der verschiedenen Schularten es auch heute tun. Eine Sonderschulerziehung ist, auf das Schuljahr und den Schüler gerechnet, eben zunächst teurer als der Besuch eines Gymnasiums - und sie muss es sein. Denn der Fördergedanke muss in der Pädagogik an erster Stelle stehen - dann »stimmt« langfristig auch deren Ökonomie. Letztlich kommen, wie wir wissen, alle Mängel der Erziehung die Gesellschaft teuer zu stehen, weil sie die Leistungsfähigkeit für das Leben untergraben. Sie schwächen den Einzelnen und nehmen damit auch die Mittel der Gesellschaft mehr als nötig in Anspruch. All dem könnten wir durch den Bildungsgutschein wirksam begegnen.

Anmerkungen

  1. Vgl. vom Verfasser: Ersatzschule, Schulbauförderung und Wartefrist - bildungsökonomische Bemerkungen zu einer janusköpfigen Finanzhilferechtsprechung. In: Zukunftsperspektiven der Freien Schule. Hrsg. Friedrich Müller und Bernd Jeand'Heur, Berlin 1996(2), S. 253 ff.
  2. Vgl. die jährlich veröffentlichten Gesamtjahresabschlüsse der deutschen Waldorfschulen und die entsprechenden Pressedokumentationen (beim Bund der Waldorfschulen erhältlich)
  3. Vgl. F.-R. Jach : Schulvielfalt als Verfassungsgebot, Berlin 1991
  4. M. Maurer: Der Bildungsgutschein, Stuttgart 1994 (Lit.)
  5. B. Hardorp: Neue Maßstäbe in der staatlichen Finanzhilfe für Freie Schulen? (wie Anm. 2), S. 157 ff.
  6. Vgl. F.-R. Jach: Schulverfassung und Bürgergesellschaft in Europa, Berlin 1999