Was will die Volksinitiative "Schule in Freiheit"? (Mai 1998)

Die Aktion mündige Schule (AmS) will mit ihrem Verfassungsentwurf, der von 37.000 Bürgerinnen und Bürgern unterstützt wird, erreichen, dass sich die Schulen in Schleswig-Holstein flexibel und lebendig weiterentwickeln können. Deshalb sollen sie größere pädagogische und organisatorische Selbständigkeit bekommen.

"Die Schulen müssen ein Ort lebendiger Erfahrung und menschlicher Begegnung sein, damit sie ihrem Bildungsauftrag gerecht werden können", sagte der Sprecher der Volksinitiative Henning Kullak-Ublick aus Flensburg gegenüber der Presse. Deshalb müsse Zentralismus und Bürokratie im Schulwesen zurückgedrängt werden. "Befreit die Schulen vom staatlichen Gängelband - bewahrt die Schulen vom privaten Kommerz", fasst Kullak-Ublick das Ziel der Volksinitiative zusammen.

Der Gesetzentwurf der Initiative wurde in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Staatsrechtsprofessor Frank-Rüdiger Jach und weiteren Experten erarbeitet. Am 4. Mai dieses Jahres übergab die Initiative 37.000 Unterschriften an den schleswig-holsteinischen Landtag. Nach der Nichtzulassung durch den Landtag am 3. September 1998 hat die Aktion mündige Schule Widerspruch beim Bundesverfassungsgericht eingelegt.

Der Gesetzentwurf der Volksinitiative sieht vor, dass

  • alle Schulen, die es wollen, im Rahmen ihrer Trägerschaft die weitestgehende pädagogische, organisatorische und wirtschaftliche Selbständigkeit erhalten;
  • die Schulen ihre Lehrerkollegien selbst berufen können, Vertreterinnen und Vertreter aller Schularten in die Schulaufsicht einzubeziehen sind,
  • die Schulaufsicht ihre Kontrollfunktionen da, wo es möglich ist, auf die Rechtsaufsicht beschränkt und sich zu einem Koordinationsorgan der unterschiedlichen Schularten entwickelt;
  • nicht mehr die Trägerschaft einer Schule (staatlich, kommunal oder frei) über ihre Finanzierung entscheidet, sondern einzig sachliche Gesichtspunkte, die für alle Träger gleichermaßen gelten;
  • die Erziehungsberechtigten über die Schulart entscheiden, die sie für ihre Kinder wünschen.

Schulfreiheit gibt es in vielen Ländern
In kaum einem anderen europäischen Land hängt das Schulwesen so am staatlichen Gängelband wie in Deutschland. Zum Vergleich: In Dänemark haben staatliche Schulen so weit gehende Selbstverwaltungsrechte, wie sie in Deutschland nur die freien Schulen haben. In den Niederlanden, die schon seit 1917 keinen prinzipiellen Unterschied mehr zwischen staatlichen und freien Trägern machen, arbeiten 75%, in Belgien 61%, in Dänemark mehr als 30% der Schulen in freier Trägerschaft.

Schleswig-Holstein verhindert Schulvielfalt
In Schleswig-Holstein konnten sich bis heute nur insgesamt 18 allgemeinbildende Schulen in freier Trägerschaft etablieren. Hinzu kommen die ebenfalls nichtstaatlichen dänischen Schulen. Gemessen an der Gesamtschülerzahl Schleswig-Holsteins macht das weniger als 4% aller Schülerinnen und Schüler aus.
Der Grund: Das Land bevorzugt staatliche Schulen in der Finanzierung. Freie Schulen bekommen bedeutend weniger Fördermittel als staatliche Schulen. Die Differenz müssen die Eltern aus eigener Tasche bezahlen - einschließlich der Kosten für Schulgebäude und Fahrwege immerhin einige hundert Mark im Monat für jedes Kind. Um dennoch allen Kindern, unabhängig von der Einkommenssituation der Eltern, den Schulbesuch zu ermöglichen, gewähren die - zumeist als gemeinnützige Vereine organisierten - freien Träger etwa 40% ihrer Schülerinnen und Schüler aus sozialen Gründen Schulgeldermäßigungen. Die daraus entstehenden Mindereinnahmen müssen von den übrigen Eltern durch erhöhte Beiträge ausgeglichen werden.

Henning Kullak-Ublick: "Durch die Bevorzugung staatlicher Schulen will sich der Staat Konkurrenz vom Leibe halten und sein Schulmonopol verteidigen. Die Volksinitiative will dagegen fairen Wettbewerb zwischen allen Schulen als Motor für pädagogische Initiative." Durch die gleichberechtigte Behandlung der unterschiedlichen Schulträger soll ein Schulwesen geschaffen werden, welches Vielfalt und Verantwortungsbereitschaft nicht als Störfall behandelt, sondern fördert. Dadurch würden sich alle Schulen in Schleswig-Holstein, staatliche und freie Schulen, zum Wohle unserer Kinder weiterentwickeln.

Beispiele zur finanziellen Benachteiligung freier Schulen in Schleswig-Holstein:

  • Im Haushaltsbegleitgesetz 1998 wurden die Zuschüsse für freie Schulen auf den Stand von 1989 zurückgefahren, während die Ausgaben für die vergleichbaren staatlichen Schulen in dem selben Zeitraum um 15-20% gestiegen sind.
  • Neugegründete freie Schulen unterliegen einer mehrjährigen Wartefrist, die sie ohne staatliche Zuschüsse überbrücken müssen. Seit diese Wartefrist 1995 von drei auf vier Jahre verlängert wurde, ist es keiner Gründungsinitiative mehr gelungen, diese Hürde zu überspringen.
  • Aber selbst nach erfolgreicher Gründung erhalten die freien Träger Zuschusszahlungen, die weit unter den Kosten vergleichbarer staatlicher Schulen liegen: von den dort ermittelten laufenden Schülerkosten (= die Kosten eines einzelnen Schülers) erhalten sie maximal 80%. Diese Zahl täuscht allerdings, weil sie die Lohnnebenkosten nicht berücksichtigt, die an den freien Schulen, nicht aber an den staatlichen Schulen anfallen, wo überwiegend verbeamtete Lehrerinnen und Lehrern arbeiten. Außerdem müssen die Investitionen in Gebäude und Einrichtungsgegenstände zum weitaus größten Teil von den Trägervereinen frei finanziert werden - und dies trotz der nachweislich sparsameren Bauweise nichtstaatlicher Schulen.
  • Die Freie Waldorfschule Lübeck, die von einer wachsenden Zahl von Schülerinnen und Schülern aus dem ca. 300 Meter entfernten Mecklenburg-Vorpommern besucht wird, erhält keinerlei Zuschüsse für diesen Teil ihrer Schülerschaft. Trotz eines "Bestandsschutzes" für alle Schülerinnen und Schüler, die vor dem Schuljahr 1998/99 eingeschult wurden, ist abzusehen, dass die Schule in wenigen Jahren vor einer wirtschaftlichen Katastrophe steht.