Joseph Beuys

Es wird hier die Frage gestellt, ob ein unfreies pädagogisches Mittel geeignet ist, die Kreativität der Menschen, die wir zur Bewältigung der Zukunftsaufgaben brauchen, zu entwickeln. Wenn man aus der Sache heraus und aus dem Gedanken heraus - der sich meines Erachtens auf sich selbst gründet -, erkennt, daß nur Freiheit auf diesem Gebiet die größtmögliche Effektivität und die größtmögliche Unabhängigkeit erzeugen kann, dann muß man das selbstverständlich übertragen auf diejenigen Gebiete, die allgemein bekannt sind als die kulturellen Einrichtungen des Schul- und Hochschulwesens usw. Von dieser Seite aus kann man nur für die Freiheit und Unabhängigkeit des Schulwesens sprechen, also für das Prinzip der freien Schule; denn nur aus einer freien Schule können sich Ideen entwickeln, die frei miteinander konkurrieren und im Vergleich die besten Resultate menschlicher Kreativität entwickeln, um in der gesamten sozialen Organisation mit größtmöglicher Effektivität zu wirken.

Es gibt ... bei uns ein Staatsschulwesen, das uniform werden will, also das auch die Tendenz zum Zentralismus hat, in die staatliche Macht hinein. Und da arbeiten wir entgegen. Wir arbeiten für ein alternatives, vielfältiges Schulwesen. Wir wollen die Schulen nach und nach in die Selbstverwaltung der Menschen legen, also in die Verwaltung derjenigen, die im Schulwesen ja arbeiten. Das sind Lehrende und Lernende im Prinzip.

(aus Harlan/Rappmann/Schata: "Soziale Plastik - Materialien zu Joseph Beuys", Achberg 1984, S. 28 f.)

Frage:
Wenn Sie hier Ihr Büro auf der 5. documenta aufgeschlagen haben, verfolgen Sie damit ja nicht nur politische, sondern auch künstlerische Intentionen...

Beuys:
Weil die eigentlichen zukünftigen politischen Intentionen künstlerische sein müssen. Das heißt, sie müssen aus der menschlichen Kreativität, aus der individuellen Freiheit des Menschen stammen. Aus diesem Grunde befasse ich mich hier hauptsächlich mit dem Schulproblem, mit dem pädagogischen Aspekt. Dieses ist also ein Freiheitsmodell, es versteht sich aber als ein revolutionäres Freiheitsmodell. Es beginnt im menschlichen Denken und mit der Ausbildung des Menschen in diesem Freiheitsraum - nicht zu verwechseln mit einem Freiraum, den ich ablehne - in einem Freiheitsraum, eben dem kulturellen Sektor, wozu auch die Institution gehören müßte, nämlich die Informationsebene.

Es müßte eben eine freie Presse, ein freies Fernsehen und so weiter geben, von staatlichem Einfluß unabhängig. Wie es ein von staatlichem Einfluß unabhängiges Schulwesen geben müßte. Aus diesem heraus versuche ich, ein revolutionäres Modell zu entwickeln, was die demokratische Grundordnung so formuliert, wie das Volk es gerne möchte, nach seinem Willen, denn wir wollen ja Volksherrschaft. So steht es ja auch im Grundgesetz: alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.

Der Freiheitsraum - nicht der Freiraum, ich will das betonen, weil das immer wieder verwechselt wird: der Beuys will einen Freiraum. Ich will gar keinen Freiraum, einen Extraraum, sondern ich will einen Freiheitsraum - der soll erkannt werden als der Platz, wo Revolution entsteht, durch die demokratische Grundstruktur verändernd hindurchschreitet und dann das Wirtschaftsleben umstrukturiert in dem Sinne, daß es ein Wirtschaftsleben geben wird in Zukunft, wenn die Mehrheit sich so verhält, wie ich es ihr rate, daß diese Wirtschaft dann den Bedürfnissen der Menschen dient und nicht den Bedürfnissen einer Minderheit für ihren eigenen Profit. Das ist der Zusammenhang. Und das verstehe ich als Kunst.

(aus Adriani/Konnertz/Thomas: "Joseph Beuys - Leben und Werk", Köln 1981, S. 296 f.)